28 Jun Amicus Vini
In der Geschichte der Menschheit sind Kunst und Wein schon immer untrennbar miteinander verbunden gewesen. Kein höfisches Gelage ohne Wein, Weib und Gesang. Kein Dichter, der sich nicht an Leid und Rebensaft berauschte. Keine Vernissage ohne Sektempfang. Wie die Kunst und der Wein jedoch die perfekte Liaison einzugehen vermögen, hat Quality in einem kleinen Winzerdorf in der italienischen Maremma entdeckt.
Autor Patricia Engelhorn
In Bolgheri sagt man, die deutsche Künstlerin bringe Unwetter mit sich. Als Rebecca Horn Anfang des Jahres erstmals im Postakarten hübschen Winzer-Kaff in der Maremma erschien, lagen die Häuser und die umliegenden Weinberge unter einer feinen Schneeschicht. Dabei schneit es in dieser Gegend so gut wie nie. Die südliche Lage und das nahe Mittelmeer sorgen für milde Winter und trockene, heiße Sommer. Ein Klima, das nicht nur Urlaubern gefällt. An der toskanischen Küste hat sich das who is who der einheimischen Winzer-Elite versammelt. Ob Sassicaia, Gaja, Ornellaia – keiner der „super tuscans“ fehlt und die hier produzierten Rotweine sind eine Klasse für sich.
Sie sei eigentlich eine Weißwein-Trinkerin, sagt Rebecca Horn. Dabei steht sie zwischen gut 500 französischen Barrique-Fässern im Weinkeller der „Tenuta dell’Ornellaia“. Das Weingut wurde 1981 gegründet und steht heute im Besitz der „Tenute di Toscana“. In nur 20 Jahren ist es mit seinem „Bolgheri Superiore DOC“ zum Weltruhm gekommen.Der Rotwein – eine Selektion aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und Petit Verdot – wurde mit Auszeichnungen überhäuft, um die nur 140.000 jährlich produzierten Flaschen streiten sich u. a. Sharon Stone, George Clooney und Claudia Schiffer.
Auch Rebecca Horn ist begeistert: „Dieser Rotwein ist fantastisch“. Hätte er ihr nicht geschmeckt, dann wäre vermutlich aus dem Kunstprojekt nichts geworden und Bolgheri wären weitere Winterstürme erspart geblieben. So aber steht jetzt ihre Installation im Weinkeller, ein mannshohes, mehrarmiges, bewegliches Kupfer-Objekt mit Spiegeln, die sanfte Lichtspiele an die Kellerdecke zaubern, und gläsernen Weinkelchen, die sich langsam heben und senken.
Ein Kunstwerk von Rebecca Horn im Keller zu haben ist nicht jedermann vergönnt. Die deutsche Künstlerin war 28, als sie 1972 an der „documenta“ teilnahm. Damals trug sie Stoffprothesen am Körper, die wie Tentakeln auf und ab wippten und ihr Konzept der bewegten Skulptur präsentierten. Ihre Werke wurden in Einzelausstellungen im Guggenheim Museum in New York, in der Berliner Nationalgalerie und in der Tate Gallery in London gezeigt. Unter anderem. Sie gehört nicht zu den Künstlern, die Aufträge annehmen. Schon gar nicht von Unternehmen. Und doch konnten die Italiener sie überzeugen.
„Ich kam hierher, und es gab eine Weinprobe, den ganze Abend lang“, erzählt sie, „draußen stürmte es, und ich hatte ganz viele Gläser vor mir und dann sprachen wir über den Namen, den wir dem neuen Jahrgang und meinem Werk geben wollten. Alles entstand an diesem Abend und schließlich habe ich zugesagt“. Axel Heinz, der deutsche Önologe von Ornellaia, hatte „Forza“ (Kraft) als Titel für den 2008-Jahrgang im Sinn. Rebecca Horn war das zu hart und zu männlich. „Energia“ (Energie) gefiel ihr besser. Es ist ein Begriff, der zu ihrer Arbeit passt und auch zu ihrer Person. „Energie hat viel mit dem zu tun, was ich hier gemacht habe“, sagt sie, „es geht um Licht und Bewegung, um einen alchemistischen Prozess, der die Dinge verwandelt und Energie entstehen lässt. So ähnlich wie beim Wein. Jetzt befindet sich meine Arbeit in einem Raum, in dem auch Wein entsteht. In beiden Fällen ist Veränderung im Spiel, das gefällt mir“. Die Arbeit bleibt dort, mehrere Meter unter der Erde, im schummerigen Weinkeller-Licht. Sie wird sich bewegen, ganz langsam, fast unbemerkt, und so den Prozess in den Fässern begleiten, die Entwicklung des „Energie“-Jahrgangs und die aller noch namenlosen Weine, die folgen werden.
Es ist der dritte Ornellaia-Jahrgang, der künstlerisch interpretiert wird. Das Projekt heißt „Vendemmia d’Artista“ und dahinter steht die Idee, die Essenz eines Weines, den Charakter seines Jahrgangs und die Eigenschaften seines Geschmacks durch ein Kunstwerk zum Ausdruck zu bringen und zu erhalten. Irgendwie scheinen sich die Nachfahren der Medicis nicht ganz von der glanzvollen Renaissance-Zeit verabschieden zu wollen, als Auftragskunst Gang und Gäbe war, und als wohlhabende Mäzene auserwählte Künstler für sich arbeiten ließen. An Rebecca Horn hätten sie wenig Spaß gehabt. Man muss sie nur ansehen, um zu wissen, dass sie grundsätzlich nicht das macht, was von ihr erwartet wird. Eine Weinreklame? Ein Etikett gestalten? Ausgeschlossen. Es gibt einen feinen Unterschied, und darauf legt sie Wert. Denn sie hat Etiketten gestaltet. „Das, was in diesem Keller passiert, ist noch mal auf den Flaschen zu sehen“, sagt sie. Die Reihenfolge zählt: Das Projekt kam zuerst, die Etiketten sind ein Nebenprodukt davon.
Sie wirken wie eine zweidimensionale Miniatur der Skulptur, wie ein skizzierter Ausschnitt des Ganzen. Es sind Metalltrichter darauf zu sehen, stilisierte Kelche, die auf langen, gewundenen Stielen balancieren. Die Etiketten zieren eine limitierte Auflage von 100 Doppelmagnums (drei Liter), zehn Imperial-Flaschen (sechs Liter) und einer Salmanazar (neun Liter), die am 19. Mai in der Neuen Nationalgalerie in Berlin versteigert werden. Der Erlös geht an den Verein „Freunde der Nationalgalerie“, der sich um die Förderung von Ausstellungen bei nicht vorhandenem staatlichem Etat kümmert. Im vergangenen Jahr wurden die von der gebürtigen Ägypterin Ghada Amer gestalteten Flaschen in New Yorks Whitney Museum versteigert. Für die neun-Liter-Flasche legte der italienische Aristokrat und Weinkenner Gelasio Gaetani d’Aragona Lovatelli 45.000 USD auf den Tisch, die zusammen mit dem restlichen Erlös der museumseigenen Stiftung übergeben wurden, die damit die Kunstwerke des „Whitney’s Conservation Department“ restauriert.
„So bleibt irgendwie alles im Kunstbetrieb“, sagt Rebecca Horn. Sie selber gehört seit ihrer Jugend dazu. Um es kurz zu machen: Rebecca Horn wird 1944 als Tochter eines Kaufmanns und Textildesigners im hessischen Michelstadt geboren. 1964 beginnt sie ihr Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Seit den frühen siebziger Jahren arbeitet sie an einem beständig wachsenden Werk aus Performances, Filmen, Raum-Installationen, Zeichnungen und Fotoübermalungen. Die Unverwechselbarkeit dieser Bildwelt besteht in der höchst präzisen Funktionalität, mit der sie ihre Skulpturen und deren Bewegungsabläufe in Szene setzt. Dabei wird ihr Werk von einer konsequenten Logik zusammengehalten: Jede neue Arbeit scheint sich aus der vorherigen zu entwickeln, oft werden Elemente mehrfach aufgegriffen, die sich aber in verschiedenen Kontexten völlig anders präsentieren.
Die Kupfer-Kelche, die sich zwischen den Barrique-Fässern von Ornellaia auf den darin enthaltenen Wein zu beziehen scheinen, sind schon früher in ihrem Werk aufgetaucht, mehrfach sogar. „Jedes Werk“, sagt sie „ist wie ein Baby, das geboren wird und sich abnabelt und in eine neue Umgebung hineinkommt. Und dann in einen Dialog mit seinem Umfeld tritt, in diesem Fall mit dem wunderbaren Wein, mit dem Gebäude und mit den Menschen hier“. Eine Arbeit hat zur nächsten geführt, die eine hat die andere weitererzählt. Es ist ein Geflecht von Ideen, das sich weiterentwickelt. „Ich möchte nicht abschließen“, erklärt Rebecca Horn, „jetzt habe ich gerade einen Film gemacht, was kommt als nächstes?“. Die Musik ist dazu gekommen. Sie entstand sozusagen aus den Tönen, die die bewegten Skulpturen produzieren und aus der Begegnung mit einem Komponisten, der diese leichten, merkwürdigen Geräusche einfangen konnte.
Rebecca Horn lebt und arbeitet im Odenwald. Nach langen Jahren des Herumzigeunerns zwischen New York, Berlin, Paris und der Toskana hat sie sich in der Textilfabrik ihrer Eltern ein Atelier eingerichtet, in dem sie mit ihrem Zwei-Mann-Team arbeitet. Sie hat auch ein Atelier in Berlin, und ist häufig dort: „In Berlin leben viele Menschen, die ich immer gerne wieder sehe und mit denen ich Dinge entwickeln kann“. Ihr Privatleben findet in Paris statt, aber darüber spricht sie nicht. „Es macht alles komplizierter“, sagt sie nur. Denn schließlich ist sie schon so ständig unterwegs, Bewegung schein in vieler Hinsicht ihr Ding zu sein.
Sie reist um ihre Ausstellungen in Tokio, Rio und Sao Paolo vorzubereiten und um ihre Kunst vor Ort zu inszenieren. Sie reist privat und sie reist auch immer gerne wieder ab. „Man geht gerne, wenn etwas beendet ist“, sagt sie, „man hat dann wieder Freiheit für ein neues Projekt. Man braucht diesen frischen Wind, die Veränderungen, um nicht zu stagnieren. So entsteht Energie und die brauche ich, um etwas Neues zu schaffen“.
Jetzt, wo ihr Kunstwerk im Keller vollendet ist und genauso aussieht, wie sie es sich vorgestellt hat, kann sie sich trennen. Es fällt ihr leicht, sich umzudrehen und sich anderen Dingen zuzuwenden: „Wir können essen gehen“, sagt sie zufrieden. Sie hat sich einen Tisch im Restaurant „La Pineta“ in Marina di Bibbona gewünscht, das für seine schöne Strandlage und seine Fischsuppe bekannt ist. Vermutlich hat sie dort einen Weißwein bestellt um den Abschluss ihres Kunstprojekts in kleiner Runde zu feiern.
Im Radio wird vor nächtlichem Schneefall gewarnt. Am nächsten Tag scheint in Florenz zwar die Sonne, doch die Hügel um Fiesole sind weiß gepudert und auf der Autobahn, die zum Meer führt, liegt etwas Schnee. Genug, um Italiener ins Schleudern zubringen, aber nicht genug, um einen deutschen Kleinlaster aufzuhalten. Rebecca Horns Techniker fahren zurück in den Odenwald, ohne das Kunstwerk aber mit ein paar Kisten feinsten Ornellaias im Gepäck.
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