13 Okt Lebensmittelrevolution 5.0
von Anke Sademann
Kochen, Essen, Speisen, Trinken, … mmmhh das steht für Sinnlichkeit, Ritual, Genuss, Kreativität, Ästhetik – ja, die Liebe und die geht bekanntlich auch durch den Magen. Der Komponentenmix aus Nahrungs-, besser noch Lebens-Mitteln ist Sinnbild für identitätsstiftende Gemeinschaft und weckt Emotionen, die uns ähnlich wie Musik noch fröhlich aus der Kindheit zuwinken. Vom blanken Überlebenstrieb einmal abgesehen, gehören diese Genuss-geprägten Aktivitäten nun mal zum Ur-menschlichen. Für Ethnologen steht Kochen sogar für den Zivilisationsbeginn schlechthin. An der großen Feuerstelle passierten erste gestalterische Handlungen und die früheste Ausdrucksform von Design.
Heute steht der neue Hype ums Essen, (Ein-)Kochen, Selbstproduzieren, mehr denn je im Zeichen des Wertewandels. Der Mensch will sich an das mancherorts förmlich wegsynthetisierte Ursprüngliche erinnern. Er will es schmecken, riechen, erfahren. Will wissen, wo es herkommt. Was drin ist. Freut sich dann das Regionale, am besten vom Bäuerlein, dessen Hof man schon persönlich besucht hat, in seiner Suppe zu wissen. Nach Echtsein soll es schmecken. Ganz 1:1. Ganz analog. Ganz einfach. Ohne Schnick-Schnack und Gedöns. Da macht ein ehemaliges Armeleuteessen im Resteauflauf-Format gerne schon mal das Rennen, wird vom Sternekoch neu interpretiert – dekomponiert und der mag es in seiner Freizeit sowieso am liebsten traditionell. Aber er, wir, die meisten haben ja trotzdem die Wahl. Das ist der wahre Luxus.
Ernährung in all seinen Facetten hat eine unglaublich hohe Symbolkraft – ist Kodierung für Leben und Überleben. Purer Hedonismus schmeckt vielen nicht mehr: Zunge meldet Kopf: Sei wachsam, sei achtsam und frage Dich folgendes:
Hat sich Essen in unserer Ich hab die Wahl- Überfluss – und Verschwendungsgesellschaft zum kreativen Selbstdarstellungsmittel entwickelt, das sogar einer Ersatzreligion mit Suchtcharakter gleichkommt. FOOD ist das In–aller-Mund-Wording eines weltweiten Hypes der kollektiven Essensverarbeitung, deren Anhänger (Foodisten) kochenderweise durch die Welt brausen, um Jedermänner (und – Frauen) aller Couleurs, Profis ebenso wie Trendsetter und Privatiers, mit sich zu reißen. Ein schöner Trend, der in jeden noch so abgelegenen Winkel der Erde zu kriechen scheint. Auch daran gekoppelte Realitäten vergessen lässt. Die da wären: Explosionsartig steigende Bevölkerungszahlen, Klimawandel, Treibhauseffekt, Ressourcenknappheit (Wasser!), Hunger, Überproduktion, wachsende Anforderungen an Gesundheit und Hygiene, sowie geopolitische Krisen. Da stellt sich am Ende die Frage: Wie sieht die Zukunft unserer Ernährung in einer durch schwindende Ressourcen geprägten Wachstumsgesellschaft aus? An welcher Stelle müssen wir umdenken?
Diese Frage stellten sich die Kuratoren der Ausstellung „Food Revolution 5.0“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Hier werden Besucher für diesen herb-bitteren Beigeschmack sensibilisiert. Hier fällt der kritischen Blick auf die Ausläufer der Industrialisierung, die globale Nahrungsmittelindustrie sowie den allgemeinen Lebensmittelkonsum, der in den Industrieländern weitgehend von der Erzeugung entkoppelt wurde. Lebensmittel sind inzwischen Massenprodukte, die von Anbau, der Aufzucht bis zum Esstisch verschiedene Stationen durchlaufen und zwischen Natur und Technik einen enormen Spannungsbogen generieren. Auch neue Formen der Stadtplanung, Landraub (land grabbing) oder Handelsabkommen sind Thema der Ausstellung, die sich in die Cluster Farm, Markt, Küche und Tisch aufteilt. „5.0 bedeutet zeitgenössische Technologien mit altem Kulturwissen zu verbinden – ein auf smart und Hightech abgerichteter Mechanismus macht den Mensch überflüssig. Essen ist sinnlich – der Mensch muss mehr zum Analogen zurückkehren. Jeder ist dazu aufgerufen an dieser Revolution teilzunehmen und auch als Konsument wieder zum Produzent zu werden“, so Claudia Banz, Kuratorin der revolutionären Ausstellung, in der 30 internationale Designer mit transdisziplinärem Blick auf Architektur und Wissenschaft ihre Lösungsorientierten Visionen präsentieren. Noch sind die Projekte spekulativ und erst in ein paar Jahren realistisch. Die gute Nachricht: die Exponate sind lösungsorientiert, sind Hoffnungsträger. So meldet der Kopf am Ende der Zunge: Lass Dir Deinen Genuss nicht vermiesen, aber schau auch über den Tellerrand. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 29.Oktober.
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